Im Buch Psychologie der Liebe von Jürg Willi werden sogenannte Dilemmas der Liebe beschrieben, die Anlass für Streitigkeiten und Liebesenttäuschungen sein können.1 Bei diesen Wahlmöglichkeiten können rückblickend beide Partner dem jeweiligen anderen Partner eine Schuld oder Verrat vorwerfen. Kindliche Erfahrungen und partnerschaftliche Vorerfahrungen können diese Effekte von Verletzlichkeit, Betrug, Verachtung verstärken. Bei Entscheidungen wägen wir allgemein zwischen den positiven und negativen Aspekten der uns vorliegenden Möglichkeiten ab (Wichtigkeit).
1. Dilemma des Angezogenwerdens durch Stärke und Schwäche in der Liebe?
- Entweder ich wähle mir einen Partner, der allgemein bewundert und begehrt ist, gehe aber eventuell das Risiko ein, ihn nicht für mich behalten zu können und/oder ihm nicht gewachsen zu sein.
- oder
- Ich wähle mir einen Partner mit offensichtlichen Schwächen und Defiziten, dessen ich mich sicherer fühlen kann, weil ich von ihm gebraucht werde, der mir aber nur eine eingeschränkte persönliche Entfaltung ermöglicht.
2. Dilemma der Anziehung?
- Für Frauen sind oft Männer attraktiv, die stark, gut aussehend, intelligent, interessant und erfolgreich sind, dabei aber unfertig und unreif wirken, jungenhaft oder voller unausgegorener Widersprüche, also Männer, die den Eindruck vermitteln, dass man noch viel für sie tun kann.
- Für Männer attraktiv sind oft Frauen, die schön, fröhlich und gefühlvoll wirken, daneben aber mit ängstlichem und anlehnungsbedürftigem Verhalten die Beschützerinstinkte der Männer stimulieren.
3. Dilemma der Liebe zwischen Selbstbehauptung und Rücksichtsnahme?
- Setze ich mich gegen den Partner durch, gewinne ich an Selbstbestätigung, riskiere aber die Demotivation des Partners
- Einseitige Durchsetzung könnte bedeuten, dass der andere Partner sich revanchieren mag.
- Es geht nicht mehr um die Sache, die Gegebenheit, sondern man möchte Siegen.
- Möglich ist aber auch, dass das Interesse einer positiven Auseinandersetzung sinkt und der Partner sich nicht mehr einsetzt. Innerlich hat der Partner sich abgemeldet; Resignation stellt sich ein und die Kommunikation findet nur noch auf das Nötigste statt.
- Beachte ich die Ansprüche des Partners, so gewinne ich zwar an Differenzierung unserer Auseinandersetzungen, muss aber die Ansprüche des Partners mit meinen gleichstellen
- Identifikation mit dem Schicksal des Partners
- Kann aber auch zur Langeweile führen
4. Dilemma der Liebe zwischen Kooperation und Selbstverwirklichung?
- Kann ich mich besser ohne den Partner verwirklichen.
- oder
- Kann ich mich besser mit dem Partner verwirklichen.
5. Dilemma der Liebe zwischen Bindung und Freiheit?
- Entweder ich baue mir mit meinem Partner eine gemeinsame innere und äußere Welt auf, die Bestand hat und weiter wächst, womit aber mein Potenzial im gemeinsamen Geschaffenen gebunden ist.
- oder
- Ich halte mich in einer Partnerschaft frei und ungebunden und kann mein Potenzial voll entfalten, gehe aber keine verbindliche Bindung ein und schaffe keine gemeinsame Welt.
Eine Orientierungskrise wäre zum Beispiel, wer sich auf den Kinderwunsch eingelassen hat – selbst geschaffen und selbst gestaltet hat – später sich aber nach Freiheit und Neubeginn sehnt. Hingegen gewollte Kinderlosigkeit später das Gefühl vermitteln könnte, am Leben nicht hundertprozentig teilgenommen zu haben.